Zeitsprung in Bielefeld

Eine innovative und nachhaltige Tanzprojektreihe entstand am Bielefelder Theater in der Spielzeit 2006/7. Mit der Absicht der Gesellschaft mit Tanz positive Impulse zu geben, entwickelten der Intendant Michael Heicks und der Leiter des Tanztheaters Gregor Zöllig mit anfänglicher Unterstützung des bekannten britischen Choreographen Royston Maldoom eine Initiative in der Tradition der Community-Dance-Bewegung, die sich vor allem um das Zusammenführen unterschiedlicher Menschen im Tanz drehte. Inzwischen gehört die Arbeit zur Kulturlandschaft in Bielefeld. Die Tänzer des Tanztheaters Bielefeld erarbeiten gemeinsam mit Amateuren Choreografien, die sich an die laufenden Themen des Theaters anlehnen. Seitdem sind aus dieser äußerst erfolgreichen Initiative heraus 19 Produktionen entstanden.

Meine Hospitanz bei dieser Initiative war auf zwei Tage verteilt. Mich interessierte insbesondere der professionelle Ansatz der Arbeit: Die hauptsächlich tanzunerfahrenen Teilnehmer erfahren am eigenen Leib den Alltag des Tanztheaters und stehen nach fünf intensiven Probewochen gemeinsam als Tänzer auf der Bühne. Dieses Vorgehen wollte ich näher betrachten können. Die als Projektmanagerin für das Zeitsprung-Projekt verantwortliche Tanzvermittlerin Kerstin Tölle lud mich ein, zwei verschiedene Proben mitzuerleben.

Am 23. Mai fand das erste sogenannte „Showing“ statt: Eine Probe, bei der die fünf unterschiedlichen Gruppen sich gegenseitig die bisherigen Probenergebnisse vorführten. 100 Teilnehmer im Alter von acht bis achtzig Jahren waren mit den zehn Choreographen (Mitglieder des Bielefelder Tanztheaters) unter der Leitung von Gregor Zöllig auf der Probebühne versammelt. Obwohl die Teilnehmer alle sichtlich aufgeregt waren, herrschte eine angenehme Atmosphäre der gegenseitigen Ermutigung. Alle Gruppen wurden gleichwertig behandelt und bestätigt, ohne dass verpatzte Sequenzen schöngeredet wurden. Passend zum gegenwärtigen Theaterthema Alter sollten die vielen Tanzsequenzen unter dem Titel „Alter Falter“ zusammengefügt werden. Gruppe für Gruppe wurden die Choreographien vorgetragen.

Diese bewertungsfreie Wertschätzung ist eine wichtige Vorraussetzung um die vollen Möglichkeiten des zeitgenössischen Tanzes innerhalb der kulturellen Bildung ausschöpfen zu können: Ohne den Zwang, „gut“ oder „richtig“ zu tanzen, wird unter den Tanzenden bis dato ungeahnte Kreativität und Bewegungsmöglichkeiten freigesetzt. Der Probenprozess wird dabei wichtiger als die Abschlussaufführung, wobei das Niveau des Endergebnisses meistens trotzdem anspruchsvoll bleibt, gerade weil alle Beteiligten sich als ernstzunehmende Mitwirkende wahrnehmen und wahrgenommen werden.

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