Wenn Bäume tanzen lernen.

 

Wie tanzen denn Bäume überhaupt? Und wie können wir einen Baumtanz entwickeln, wenn unsere Tänzer weder eine gemeinsame Sprache noch ein gemeinsames Tanzvokabular beherrschen? Diese Fragen waren nur zwei Herausforderungen einer bewegten und spannenden Tanzwoche, die während der hessischen Herbstferien in Marburg stattfand.

Sechzehn Kinder im Alter von acht bis vierzehn Jahren aus sechs verschiedenen Nationen und Kulturen hatten sich zum Tanzworkshop angemeldet. Konzipiert wurde das Projekt von einer meiner Kommilitoninnen, Jeanette Biba, die zu der Zeit auch im Arbeitsamt als Integrationsberaterin tätig war. Unser Ziel war es, über das gemeinsame Tanzen die sprachlichen und kulturellen Barrieren ein wenig aufzubrechen. Fünf der Kinder kamen aus einer Sprachintensivklasse und sprachen wenig deutsch. Alles eigentlich kein Problem, weil Tanzschritte eher körperlich als sprachlich aufgenommen werden. Celine Riat, eine belgische Tänzerin, stand mir als kompetente Assistentin und Kostümdesignerin zur Seite. Gefördert wurde das Projekt durch den Bundesverband „Tanz in Schulen“ im Rahmen des Bundesprojekts „Kultur macht stark“.

Als wir am ersten Tag ankamen, warteten bereits fünf Kinder in großer Vorfreude vor der Turnhalle der Sophie-von-Brabant Schule. Um dabei zu sein waren manche Kinder fast eine Stunde mit Bus und Bahn unterwegs gewesen. Die meisten Kinder waren etwas verdutzt als wir ihnen zeitgenössische Tanzübungen zeigten. (Der Kommentar eines zehnjährigen Jungs am zweiten Tag: „Keine Ahnung was für die Tanzen ist!“) Diese Richtung war bewusst gewählt. Aus den Medien wissen die Kinder nur allzu gut, wie Hip-Hop oder Breakdance aussehen soll und wenn sie diesen Bildern selbst nicht entsprechen können, kann der resultierende Frust sie dazu verleiten schnell aufzugeben. Uns war es besonders wichtig, dass die Kinder durch Improvisation eigene Bewegungen und Ideen entdeckten, um ihre Kreativität neu zu entfalten. Die anfängliche Skepsis wurde recht schnell überwunden und als wir uns die Tagesergebnisse als Video anschauten, waren alle begeistert.

Jedes Training begann mit Royston Maldooms Fokusübung. Dabei wird Fokus zunächst als ein imaginärer Punkt erklärt, der sich außerhalb des Raums befindet – ein Ort, wo man selbst gerne wäre. Alle Teilnehmer stellen sich schweigend an einer Wand entlang auf und werden einzeln aufgefordert – „Find a space“ – sich eine freie Fläche in den Raum zu suchen. Dort stehen sie mit dem Blick nach vorne gerichtet und warten bis alle eine Position gefunden haben. „15, 14, 13…“ Alle halten ihren Fokus weiter aufrecht. In die Stille hinein wird die erste Tanzübung demonstriert. Obwohl diese schlichte Übung viele Kinder und Jugendliche vor eine große Herausforderung stellt, funktioniert sie jedes Mal. Sie vermittelt den Ausführenden die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, ihren eigenen Platz im Tanzsaal zu finden und behaupten und hilft ihnen über viele Momente der Unruhe, Anspannung und Nervosität hinweg. Als praktischer Lernprozess ist sie sehr empfehlenswert.

Im Laufe von fünf hochkonzentrierten Probentagen ist das neue Stück entstanden: Aus Improvisationsübungen ist die Choreografie gewachsen und parallel dazu sind unter Celines Anleitung Kostüme genäht und Bühnendekoration gebastelt worden. Das Ergebnis wurde in der Waggonhalle vor Publikum aufgeführt. Der Kommentar einer 12-jährigen Teilnehmerin könnte als Fazit für das ganze Projekt gelten: „Ich finde, wir haben den Applaus verdient, weil wir uns sehr viel Mühe gegeben haben“.

Hinterlasse einen Kommentar